Diskreditierung einer Branche

Süddeutsche Zeitung vom 15. Juni 2011 (gedruckte Ausgabe, Seite 17):

„Die Anreize der Branche verführen Vertreter systematisch zu Falschberatungen: Nur wer verkauft, bekommt Geld, heißt der Leitspruch. Wer rücksichtslos Versicherungen vertickt, wird reich belohnt – auch mit Luxusreisen und gekauften Frauen. Bestraft wird, wer besonnen berät und vor sinnlosen Vertragsabschlüssen warnt. Sein Konto bleibt leer. Es ist ein System, das Gier und Selbstsucht belohnt – zum Nachteil der Kunden.“

Unschön, was hier geschrieben wurde, insbesondere die pauschale Art und Weise, in der hier der gesamte Berufsstand der Berater der Finanzbranche (auch Makler sollten sich angesprochen fühlen, denn auch sie werden erfolgsorientiert bezahlt) diskreditiert wird.

Offensichtlich hatte die Verfasserin noch nie Gelegenheit, sich qualifiziert beraten zu lassen. Schade. Denn dann müsste sie wissen:

  • Die deutliche Mehrheit aller Berater kann es sich überhaupt nicht leisten, „rücksichtslos zu verticken“. Man trifft seine Kunden im Supermarkt, auf dem Fußballplatz oder Abends zum Skat.
  • Jeder dieser gut arbeitenden Berater hat größtes Interesse an zufriedenen Kunden. Denn die bleiben, schließen ggf. weitere Verträge ab und tragen so zur Vergrößerung des Vertragsbestandes bei, der laufende Einnahmen gewährleistet und ein Stück weit unabhängig vom Verkauf macht.
  • In der gesamten Branche gibt es – je nach Gesellschaft – Instrumente zur Qualitätssicherung, die unqualifizierte Beratung sanktionieren: Provisionsrückbelastung (bis zu fünf Jahre nach Abschluss), Verlust von Sonderleistungen, Einbehaltung von Stornoreserven / -rückstellungen oder, z.B. zusätzlich bei der DVAG: Die Kopplung der Qualität des Geschäftes an die nächstmögliche Beförderung.
  • Und: Gerade derjenige, der qualifiziert berät, wird langfristig erfolgreich sein. Denn die vermittelten Verträge werden bestandsfest sein, es wird Folgegeschäfte geben und Kunden werden Empfehlungen aussprechen. Wer Verträge „vertickt“, freut sich vielleicht kurz über schnelles Geld (und ebenso schnelles Storno), wird aber in keinem Fall langfristig in der Branche bestehen können.

Nun denn: Angesichts der „Skandale“ der letzten Monate, zu vertreten durch einige ganz wenige, darf man sich als Branche nicht darüber wundern, wenn der eine oder andere Journalist den Blick aufs Ganze verloren hat.

Schade. Denn die volkswirtschaftliche Funktion der Berater in der Finanzbranche, zum Beispiel in der Mitwirkung an der Vermeidung von Altersarmut in breiten Bevölkerungsschichten, geht in der Diskussion so ganz verloren.

Was ist mit den vielen Millionen Beratungsgesprächen jedes Jahr, in denen die Verbraucher von ihrem Berater wertvolle Hilfestellung zu existentiellen Fragestellungen wie Absicherung des Vermögens oder Aufbau einer tragfähigen Alters- und Hinterbliebenenversorgung erhalten?